Wer sich die Vielfalt der Welt im Sommer erschließen möchte, braucht nur an einem warmen Tag in den Garten zu gehen. Der Geist des Pfingstfestes hat sich seit Beginn des Monats wieder weit ausschweifend in den Äther verteilt. Er strahlt in den Sommer hinein und wir erleben ihn in allem Wachsen und Gedeihen.
Er spricht aus der Unendlichkeit der Formen, Farben, Töne und Strukturen, die sich uns in der Natur darbieten. Ich sitze in meinem Korbsessel und schließe die Augen.
Ein säuselnder Wind streichelt sanft und zärtlich meine nackten Beine, schwillt an zu fast stürmischen Böen, in denen sich die Blätter des Kirschbaums, der alternden Gartenmajestät, zu einem ein- und auswallenden Rauschwirbel verabredet haben. Die Trockenheit hat viele der nur spärlich wachsenden Früchte verkümmern lassen. Unregelmäßig müssen sie sich vom Ast lösen, um von der Schwerkraft zum Rasen befohlen zu werden. Ihr leise plockendes Fallen untermalt das sommerliche Blätterbrausen nur vorsichtig – wie mit einem Filzschlegel angetippte Holzblocktrommeln eines Orff-Instrumentariums.
Ruhe. Plötzlich ist wieder Ruhe.
Doch erneut verschafft sich der sommerliche Geist in wieder anderen Tönen Gehör. Der Gesang einer Amsel verbreitet sich ungestört durch die wabernde Sommerluft. Ich öffne die Augen. Eine grünbunt schillernde Fliege umkreist meinen Kopf und sucht das Weite.
Ein gänzlich anderes akustisches Treiben dringt aus einem Nachbarhaus an mein Ohr. Es ist ein regelmäßiges Klopfen. Hölzern. Takt. Stur. Ein Metronom hat sich in Gang gesetzt als hörbares Gerüst für eine Tonfolge, die sich in ebenso sturen Koloraturen in Schallwellen aus dem Hause schleicht. Das Fenster muss wohl offen sein. Sommer! Die Übungen wiederholen sich in immer neuer Tonart mit ständig wechselndem Anfangston. Erster Ton … acht Töne einer Tonleiter hinauf. Prim … Sekunde … Terz … und immer so weiter. Sieben Tonleitern hinauf, dann erfahre ich dasselbe Hörerlebnis in Abwärtsfolgen. Fingerübungen auf einer Flöte. Aber dann: ein Musikstück. Kompliziert. Mit Aufs und Abs, großen Sprüngen, flüssigen Läufen. Hier hat ein fortgeschrittener und sehr musikalischer Mensch seine Finger im Spiel. Ich genieße die akustischen Überraschungen, das dazwischen erklingende Lachen der Musiklehrerin. Ich freue mich. Immer wieder werde ich auf meiner Sommerterrasse von schönsten Flötenkonzerten verwöhnt, die zwar oft nicht perfekten Aufführungen gleichkommen, dafür aber von fröhlichen Menschen zeugen, die sich zu geselligem Tun zusammengefunden haben.
Das Weltrauschen erzählt sich in unzähligen und ewigen Facetten. Ich brauche nichts. Nur meine Sinne. Aber wie viel ist das! Sinne entwickelt zu haben, die so wunderbar funktionieren! Ich öffne einen nach dem anderen. Versuche, jedem das Seine zu gewähren … dem Hören den Klang der Welt, dem Sehen Licht und Schatten, dem Fühlen Kälte und Wärme … und ich weiß:
DANKBARKEIT – ist der ultimative Zustand des Empfangens!
© Ulrike Nikolai 2022-06-18
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